Uni Brennt

Saturday, October 03, 2009

Der Fehler und die Mathematik. Sexy? - Eine Zwischenrechnung.



Gestern Abend hatte ich eine erste Diskussion, in einer größeren Runde, über den Inhalt und Sinn einer "Fehlertheorie", die ich verbreitet habe und man auch überall in meinen Texten wiederentdecken kann.

Im Laufe der Diskussion hat ein Kollege, und angehender Mathematiker, gemeint dass eine nicht falsifizierbare Theorie, ganz nach dem Grundsatz "Wenn die Fehlertheorie falsch ist, ist sie noch immer richtig." (Man beachte u.a. die Bedeutung von "Richtig"), einfach nicht "sexy" ist!

Wieso schreibe ich das?
Naja, weil meine persönlichen Wurzeln auch schon immer eher aus der Mathematikrichtung kamen, als aus der Philosophie.
Somit kam gestern eine Frage auf, die ich mir so noch nicht gestellt hatte, vielleicht weil für mich die Antwort klar erschien, aber schlussendlich, kam ich drauf, dass ich es zumindest nicht formulieren kann, was mir so klar erschien.

Kurz gesagt, gestern ist eine, meiner uraltesten Lieben, die Mathematik, auf meinen neuesten Lover gestoßen, nämlich den Fehler; und das wiederum hat mir eine nachdenkliche Nacht bereitet.


Somit will ich einen ersten Versuch starten, die Beziehung zwischen Mathematik und dem Fehler zu durchdenken.

Der Aussage dass eine nicht falsifizierbare, sich in den Schwanz beißende Theorie, für einen Mathematiker tendenziell nicht "sexy" ist, kann ich vollkommen zustimmen.
Denn das wunderschöne, und in das was sich viele Mathematiker verliebten, als sie die Mathematik kennen gelernt haben, ist sicherlich nicht allzuselten ihre nicht täuschbare Klarheit, aller ihrer Aussagen.
Sie ist jene Wissenschaft, welche am klarsten, am reinsten, am saubersten ist.
Bereits die klaren Zahlen, auf dem blanken Papier, können zu einer perfekten Choreographie der Malerei und Geometrie werden.
Ich meine, wer hat nicht schon mal eine perfekte Formel "sexy" gefunden (zumindest wenn man sie richtig verwendet und errechnet hat *g)?
Ohne diesen ganzen unwissenschaftlichen, menschlichen Gefühlsschwafel, muss man feststellen, dass die Mathematik das Streben, und ganz besonders der Ausdruck der absoluten Perfektion ist, nicht ohne Grund wird sie als die universelle Sprache bezeichnet.

Und mit dieser Feststellung sind wir schon dort angekommen, wo ich hin wollte.
„Perfektion“

Der größte Feind der Perfektion (und hier kommen wir auch zur praktischen, alltagsphilosophischen Anwendung), ist nun mal der Fehler! Oder?

Ohne Erklärung würde ich jetzt sagen: "Der Fehler IST genau die absolute Perfektion. Sie sind somit (fast und doch) das gleiche."
...doch was meine ich damit?
Das ist schwierig, weil hier kommen wir in jenen Bereich, wie ich "den Fehler", verstehe.
Und hier glaube ich liegt auch der Haken, der Verständlichkeit dieses Konzeptes, weil ich dieses Konzept "Fehler", in einem viel weiteren Sinn verstehe.

Weil ich mir schwer tue es anders zu erklären, möchte ich den Fehler wie folgt beschreiben:
Der Fehler ist der Übergang, weder positiv noch negativ.

(Am besten gefällt mir:)
Der Fehler ist dort wo die Realität beginnt.




... zurück zur Mathematik (anstatt weiter zu schwafeln, was ich gerne tue, so feel yourself warned ;-D *g):

Also wir haben festgestellt, dass die Mathematik, klarste Aussagen, und somit Perfektion im Optimalfall, also absolute Klarheit/Wahrscheinlichkeit (absolute Certainty) anstrebt.

Wenn das der Fall ist, und ich als Liebhaber der Mathematik, mir auch genau dies von der Mathematik erwarte, dann frage ich mich, wo jetzt dieser Fehler, der auch Perfektion von sich behauptet, in der Mathematik zu finden ist?

Kurz gesagt eigentlich nirgendwo IN der Mathematik, er ist nicht mathematisch ausdrückbar!!!

Naja, das ist nicht ganz richtig, denn der Fehler hat in der Mathematik genau dort seinen Platz, wo wir alle auf der Schulbank einen klassischen Fehler gemacht haben: beim Rechnen.

Hier kommen bereits die Kerneigenschaften des Fehlers zum Vorschein.
Denn hier ist der Fehler ein Prozess, des „Fehlermachens“, was bereits auf seinen Grenzcharakter zwischen zwei Zuständen/klaren Aussagen verweist.



Was mich auch gleich zu meiner Aussage von vorhin zurückkehren lässt:
Der Fehler ist genau dort, wo die Realität beginnt.

Mit anderen Worten, dort wo die Mathematik aufhört! Dort wo wir einen Fehler machen!!! Ist jenes Konzept des Fehlers!

Damit sage ich viel aus, und wir kommen in ein monströs, sehr unzufriedenstellendes, frustrierendes, tiefes Gebiet der Wahrheits- und Realitäts-Philosophie hinein.

Aber hier kommt auch die Qualität des Fehlers heraus.


Um den Leser nicht noch weiter mit theoretischen Zugängen zu bewerfen, möchte ich einen Schluss versuchen:

Als Lover der Mathematik, würde ich mir wüschen (und ich glaube auch daran), dass die Welt 100% mit der Mathematik erklärbar ist.

Doch dies hat noch niemand (den wir kennen) erreicht.
Bis wir dies können, haben wir jedoch noch viele unsichere Realitäten und Wahrheiten zu wählen und zu identifizieren (siehe Entscheidungsschwierigkeiten-Problematik). Ein Prozess der mit vielen angeblichen "Fehlentscheidungen" verbunden ist (ich möchte auf das Wort Prozess aufmerksam machen).

Aber wenn die Welt wirklich perfekt ist, und mit der Mathematik erklärbar ist, und sie somit sexy macht, dann frage ich mich wieso es den Fehler in der alltäglichen Realität gibt.

Die einzige Antwort, die mir dazu einfällt, und aber zugleich der Kern der Aussage und Theorie um den Fehler ist, ist:
Dass die Gesamtrechnung perfekt ist, eben wie die Mathematik, aber da wir diese komplizierteste aller mathematischen Rechnungen, die wir Realität und Alltagswelt nennen, also die Gesamtrechnung nicht kennen, bzw. noch nicht fertig gerechnet haben, dass wir deshalb, jeglichen computational (Zwischen-)Schritt (den Rechnungs-Prozess), unsicher in Falsch und Richtig einteilen, um uns den Weg dorthin zu erleichtern. Sozusagen an das Ergebnis herantasten. Obwohl es ja eigentlich nur Richtig gibt. (Kommt das nicht bekannt vor? "Fehlertheorie" = Beziehung zwischen Falsch und Richtig, und dem Fehler der richtig ist?).

Somit ist der Fehler eine Notwendigkeit auf dem Weg, während der Rechnung, und seines Prozesses, als Art Hilfsrechnung, hin zur absolut richtigen, endgültigen Antwort.
Und das ist genau das schöne an diesem Konzept "des Fehlers", dass er als wichtiger Bestandteil der RICHTIGEN Antwort zu verstehen ist.

Somit zwar nicht als Bestandteil der Mathematik und ihrer Gesamtrechnung, aber als Nebenrechnung, als Teil des Rechnungs-Prozesses, hin zur Gesamtrechnung der Mathematik.

Eben dort wo die "Realität des Rechnens", beginnt (und nicht die Formel oder das Ergebnis).
(Dort wo Entscheidungen getroffen werden müssen, und Individuen/Identitäten entstehen.)




So ich bin gespannt auf jegliches Feedback, besonders wenn diese Erklärung jemand aus der ursprünglichen Diskussionsrunde liest.
Danke für eure Zeit und Interesse.






Anhang

Der Leser sei vorgewarnt, der folgende Anhang ist der schwer verdauliche philosophische Teil meines Statements, aber nicht notwendig für das Verständnis des Ersten Teils, weil er teilweise eventuell nur noch mehr verwirrt:

Da ich ganz bewusst eine Konsequenz meiner Theorie ausgelassen habe, möchte ich sie in diesem Anhang nachtragen.

Weil ich habe eine sehr problemtische Schlussfolgerung provoziert, eine die Mathematik nicht tangierende (deshalb schreibe ich das hier auch separat), sondern für unsere menschliche Existenz.
Denn wenn ich behaupte, dass die Welt perfekt ist, und der Fehler nur als der isolierte, allein gelassene, aus dem Kontext gerissene Teil der Gesamtrechnung ist, dann stellt sich doch im weiteren die Frage, was noch übrig bleibt für Originalität und persönlichen Charakter, im weiteren Sinn, für unsere Identitäten?

Weil wenn die Welt perfekt ist, wieso gibt es dann all diese Fehler, Differenzen, und unterschiedlichsten Identitäten, Körper, Systeme, Menschen?
Oder noch besser gesagt, wieso braucht es so viel Zeit und so viele Fehler, bis dieser Prozess der perfekten Rechnung abgeschlossen ist?

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach, besonders für alle jene die der Mathematik nie viel abgewinnen konnten:
Denn eine perfekte Welt, eine zu ende gerechnete Welt, wäre fad, sie wäre ohne Bewegung, weil jegliche Bewegung abgeschlossen wäre, fertig gerechnet, BESTÄTIGT, sie wäre statisch, in vollkommener Balance, Prä-Urknallhaft.
Sie wäre einfach perfekt. Eine feststellung die in einem Menschen, einen problematischen Nebengeschmack und Intuition aufkommen lassen kann.


Somit möchte ich eine GANZ gewagte Behauptung aufstellen, die mir viele (Gegen-)Argumente bescheren wird (wie eigentlich alle meine Texte), was gut ist ((meine) Fehler sind nun mal auch interessant ;-D *g):
Nämlich, dass wir den Fehler, die Dramatik, in dieser perfekten Welt jeden Tag suchen.
Die Welt ist demnach eine einzige ignorante Haltung, gegenüber der Perspektive, dass die Welt perfekt ist.
Wer diese Beziehung zwischen der Perspektive, welche die Welt als perfekt versteht, und der ignoranten Haltung gegenüber dieser Realität versteht, hat meiner Meinung nach, die Welt und diese gesamte Theorie verstanden.


Kurz gesagt, der Fehler in der perfekten mathematischen Rechnung (("Gott"?)), ist jener Teil (der Gesamtrechnung selbst), der das Leben erst interessant macht, und es überhaupt wert macht zu erleben und die Gesamtrechnung wert macht zu berechnen!!!
Der Fehler, ist eben der Prozess der Rechnung, ohne ihn gäbe es auch nicht die absolut richtige Gesamtrechnung, das END-Ergebnis (eines Rechen-Prozesses).
Der Fehler ist somit die grundlegendste Notwendigkeit jeglicher Identität, weil Perfektion ist identitätslos (bis auf die Identität namens "Perfektion").
Was eigentlich auch wieder falsch ist, weil denkt man dieses gesamte Konzept zuende, kommt man drauf, dass "die Perfektion" nicht eine bestimmte Sache ist, sondern alle Identitäten, und somit alle Fehler, und somit auch Antworten, also alle Möglichkeiten, und Realitäten, Zeiten und Orte zusammen.
Da es aber unendlich viele Fehler gibt, was ja das Schöne und Interessante daran ist, und somit für viele Menschen interessant macht, und deshalb nach Dramatik und Abendteuer trachten, im Gegensatz zu der einzig wahren Antwort, der Richtigen, der Perfektion, der Gesamtrechnung, der Mathematik und somit Rationalität (welche viele AUCH, komplementär haben wollen)...
Intuitiv versteht das Leben (u.a. die Menschen), dass der Fehler und die Perfektion eines der abwechslungsreichsten, und inspirierendsten, lebensfrohesten, ja das Leben definierendsten, (Tänze/)Rechen-Prozesse, gemeinsam vollziehen (/tanzen).

...deshalb möchte ich behaupten, dass wenn wir in unserem Leben die perfekte Antwort gefunden haben, nur noch der Fehler uns ein anderes Leben bescheren könnte (hoppla, das klingt schon wieder einmal fast religiös).

Also, auch wenn wir die perfekte Formel und Rechnung errechnet haben (was cool wäre ;-D), besteht die Möglichkeit dass wir trotzdem unzufrieden sein werden, weil es keine Rechnung mehr zu rechnen gäben wird. Wie bereits gesagt, das "Leben" wäre dann fad und einfärbig.
Die einzige Möglichkeit hier heraus, ist die Rechnung zu "zerstören" ("irrational"/fehlerhaft, persönlich zu gestalten), und aus jenem statischen Zustand der Perfektion, wieder einen Fehler in die Rechnung zu bringen, sie zu töten, und wieder von neuem, mit viel neuem kindlichen Spaß zu berechnen zu beginnen, mit all ihren vielen Fehlern und Ausprägungen/Identitäten/Realitäten.

Der Fehler ist einfach ein essenzieller Teil der perfekten Ästhetik, des Lebens. (?)


Wie war das nochmal:
"Absolut perfekter/optimistischer, Pessimismus?"

Weitere interessante Fragen und Gedankenanstöße, im Bezug zu diesem Gedankenkonstrukt:
Die Beziehung von Fehler und Widerspruch.
Ist der Fehler der Widerspruch, das dritte?
(Tod & Geburt?)




Ein kurzes Fazit noch:
Was bringt uns das ganze jetzt?
Es sagt eigentlich nur aus, das der Fehler auch einen Wert hat, insbesondere wenn man entscheiden muss zwischen zwei möglichen Fehlern/Entscheidungen.
Denn diese Abhandlung erklärt, dass egal welche der zwei Möglichkeiten gewählt werden, jede einen Wert hat, und somit eine gewisse Richtigkeit hat (da sie ein Teil des Prozesses hin zur Gesamtrechung/Gesamtbild, gesamten persönlichen Identität/Körper und Geschichte ist).
Somit hat der Fehler einen Wert, der nur gefunden/interpretiert werden muss. Etwas was sich als sehr schwierig erweisen kann. Aber es relativiert zumindest die in unserer nach Perfektion strebenden Gesellschaft, die Utopie des "Richtigen" und des "Beweises", in unserer Kultur und Welt, und ermächtigt uns, wieder ein wenig mehr zu VERTRAUEN, und VERSTÄNDNIS zu haben, und nicht nur den Beweis, die Rationalität als wertvoll und richtig zu verstehen.
Es ist somit eher eine Weltsicht, als eine Aussage oder anwendbare Theorie, sondern eben ein Prozess (und dessen systemische Erklärung).
[Es ist ein Leben (/Lebens-/Identitäts-/Körper-Geschichte).
]

Es hat, im Gegensatz zur Wissenschaft, nicht ein, die Welt ENTzauberndes Potenzial, sondern ein VERzauberndes Potenzial, etwas was heute oft fehlt, um eine Welt zu verstehen, die zwar rational verstanden werden KANN (siehe erklärung zur Mathematik), aber nicht immer so klar ist, aufgrund ihrer Unschärfe und (Rechen-)Prozesshaftigkeit (bzw. aufgrund der Blindheit, und der Funktion des Fehlers, als Teilschritt/Zwischenschritt/Hilfsrechnung, da man nicht das Ergebnis der Gesamtrechnung kennt, wie oben erklärt, und deshalb mit Fehlern zu RECHNEN hat). Oder wie es andere Beschreiben würden: weil die Welt nicht immer von "rationalen" Entwicklungen gestaltet wird (eine Aussage, die durch die Fehlertheorie, ihren die "Irrationalität" abwertenden Nebenton und Charakter verliert).




Somit folgendes (um drei Definitions-Versuche anzubieten):
#1) "Der Fehler ist das Richtige, wenn das Richtige nicht ersichtlich ist."
Richtige~=~Beweis~=~Ergebnis
...weil der Fehler, ist der Prozess dort hin.
Der Fehler, ist die Entscheidung; der Prozess zwischen dem Richtigen und dem Falschen.

#2) "Der Fehler ist jene Phase/Prozess, wo das Richtige nicht sichtbar ist, und erst durch das "Falsche"/den Fehler sichtbar wird/werden kann, und dadurch einen Wert bekommt."

#3) "Die Theorie ist sexy weil sie jegliche Beweisführung, begleitend ergänzt, sich anschmiegt, aber nicht dominiert.
Sie betont den Prozess, und nicht nur das Ergebnis.
Sie betont alle Fehler, und deren Werte, als wichtiger Bestandteil, auf dem Weg zu den Beweisen/Bestätigungen/Realitäten, beansprucht aber keine Beweise für sich. Ganz im Gegenteil, sie behauptet, den FALSCHEN Beweis zu kennen, ohne dabei einen richtigen zu nennen/behaupten. Aber lässt eine Wahl unter den falschen Beweisen zu, da sie die Falschen als Teil des Weges zum "richtigen" Beweis versteht. Und stellt somit den Prozess der Erkenntnisfindung,
auf eine sehr persönliche Art und Weise dar, weil sie Vertrauen, Verständnis und Begeisterung für den Prozess, und eben auch dessen Fehler, anstatt NUR für dessen Ergebnisse erregen kann.
Denn sie betont, die Vielfalt an Antworten die es gibt, und befreit die Antwort, von ihrer Notwendigkeit richtig zu sein, und ermöglicht trotzdem einen Bezug zum Richtigen/Beweis aufzubauen, und koexistieren zu lassen."



...
Aber es gibt noch viele Interpretationen und Schlussfolgerung, die man aus diesem Gedankenkonstrukt ziehen kann:
Also macht Fehler, und übersetzt diese Inputs in euer persönliches Gedankenkonstrukt und Realität, wie ihr wollt. Alle Interpretationen haben etwas richtiges! Es gibt viele Antworten!





Also, nochmals danke für eure Zeit und Interesse, und ganz besonders für eure hohe Toleranzgrenze (;-D), gegenüber meinen zweiten doch SEHR philosophischen, fast theologisch, schwammigen Anhang.

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